Soll ich mein Kind im IGL vorstellen? Soll ich einen Test auf Hochbegabung durchführen lassen?
Viele Eltern werden von Kindergarten, Schule oder Kinderarzt an uns verwiesen und fragen sich, ob es angebracht ist, ihr Kind in einer psychologischen Praxis vorzustellen, eventuell auch einen IQ-Test durchführen zu lassen. Oft werden Vermutungen über Störungen mitgeteilt – das Kind könnte hyperaktiv sein oder autistisch. Wenn Eltern unsicher sind, wie sie die Entwicklung ihres Kindes fördern können und Anlass sehen, sich nicht allein auf ihr „Bauchgefühl“ zu verlassen, dann ist die Entscheidung sinnvoll; die Beratung wird die Situation strukturieren und das Vertrauen in eigenes Handeln zurückbringen. Dringend ist die Entscheidung immer dann, wenn ihr Kind mit sich, seiner Umgebung oder den gestellten Anforderungen nicht zurechtkommt, ohne dass es hierfür eine plausible Erklärung zu geben scheint.
Wenn Kinder mit Hochbegabung Probleme in der Schule haben, dann wirken sie meist paradox: Sie denken effizient, aber das bemerkt man nicht an ihren Leistungen. Sie können viel, aber sie trauen sich nichts zu. Sie haben ein hohes Potential, aber sie können ihr eigenes Verhalten nicht steuern. Anweisungen, Herausforderungen, Belohnung und Strafe scheinen nicht zu wirken. Die Beziehung zu Lehrern, Eltern, Geschwistern oder Mitschülern wird schwierig – und die Ideen, wie das Kind unterstützt werden könnte, gehen aus. Familien, die mit ihren Kindern solche Situationen erleben, sollten sich frühzeitig Hilfe holen, um eine Störungsentwicklung im Anfangsstadium zu unterbrechen. Das IGL weicht in einer wichtigen Ausgangsvermutung von therapeutisch orientierten Ansätzen ab: sie sehen das betroffene Kind nicht in einer korrekturbedürftigen seelischen Situation, sondern sie analysieren die Passung zu seiner Umwelt: den Lernbedingungen, Erwartungen und Verhaltensweisen seiner Umgebung (in Kindergarten, Schule, Familie). Bestehen Missverhältnisse zwischen Begabung und Leistungsanspruch? Zwischen verfrühten Fähigkeiten / Interessen und dem Entwicklungsstand der Gleichaltrigen in der Umgebung des Kindes? Oder bestehen Einschränkungen etwa der visuellen oder akustischen Wahrnehmung oder der feinmotorischen Fähigkeiten, die Kinder mit Hochbegabung auf frustrierende Hindernisse bei der Umsetzung in Leistung prallen lassen? Besteht eine besondere Sensibilität in der Sinneswahrnehmung oder im Erleben von Gefühlen? Der Patient ist in dieser Ausgangsvermutung nicht das Kind, das sich an den Widerständen reibt, aufbegehrt gegen das Misslingen ohne zu wissen, wo das Problem liegt – der Patient ist im ersten Ansatz immer die Umgebung. Ergebnis-Offenheit ist die Besonderheit des IGL und die Grundlage des Erfolgs bei seiner Unterstützung von gesunden Kindern und Jugendlichen in riskanter Situation.
Von der Diagnostik der Passung ausgehend stellt sich besonders bei Hochbegabten die Beurteilung von seelischen Erkrankungen wie ADHS oder Autismus oder Asperger anders dar, als wenn sie mit Checklisten zur Verhaltensbeschreibung und mit Interviews, wie sie psychiatrischen Diagnosen zugrunde liegen, klassifiziert werden. Die Verhaltensprobleme bei Patienten mit Hochbegabung, die aus Passungsstörungen entstehen, werden von den Beobachtungsinventaren erfasst und statistisch weit überwiegend zu Unrecht einer psychischen Erkrankung zugerechnet. Solche „sekundären Neurotisierungen“ von tatsächlich bestehenden Erkrankungen zu unterscheiden ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die entscheidenden Einfluss auf die Hilfeplanung hat: kranken Kindern soll man mit Medikamenten helfen, für gesunde Kinder in schwieriger Situation soll man die schwierige Situation verändern. Die Grundlage dafür Beides zu unterscheiden ist eine aussagefähige Diagnostik.