Underachievement

Underachievement oder erwartungswidrige Niedrigleistung

Von Underachievement spricht man, wenn die tatsächliche Leistung eines Kindes oder Jugendlichen (Leistungsperformanz) auffällig diskrepant ist zu der Leistung, die an sich aufgrund der vorliegenden Begabung zu erwarten wäre (Leistungspotential). Fast immer tritt Underachievement in Kombination mit störendem oder verstörtem Verhalten und erheblicher Belastung des Familienklimas auf. Suizidgefährdung, therapiebedürftige Schulphobie, Schulkonflikte bis hin zur jahrelangen Ausschulung sind schwerwiegende Zuspitzungen der Situation, die ständig, aber bei einem kleinen Anteil vorkommen. Statistisch gesehen sind etwa 2 % der Kinder und Jugendlichen hochbegabt (IQ 130 und höher). Unter diesen sind zwischen 15 und 20 % Underachiever. Ein Teil dieser Kinder fällt, wenn keine Hilfe kommt, durch die verschiedenen Schulformen durch bis zur Sonderschule für Lern- oder Verhaltensgestörte. Für die hochleistenden Hochbegabten gibt es private Vereinigungen und staatliche Initiativen zur Förderung; für die genannten 15 bis 20 % dagegen gibt es noch keine formellen Hilfsangebote. Rechenbeispiel: Von 1000 Kindern sind statistisch 20 hochbegabt. Von diesen sind wiederum 3 bis 4 Underachiever. In einer Stadt mit 25 000 SchülerInnen (ca. 280 000 Einwohner, 9 % Schüler) wären 90 bis 100 Kinder betroffen. Anmerkung: In der Praxis muss davon ausgegangen werden, dass die im Folgenden beschriebene Wirkung von schulischer Unterforderung nicht erst ab der Schwelle IQ 130 eintritt, sondern häufig bereits bei niedrigeren Schwellenwerten. Grundsätzlich geht es hierbei um das Verhältnis von schulischem Anspruchsniveau und Leistungspotential des einzelnen Kindes. Sinkt das schulische Anspruchsniveau, dann liegt auch der Schwellenwert für Unterforderung niedriger.

Bedingungen von Underachievement

Im Schulunterricht besteht für hochbegabte Kinder und Jugendliche eine Lücke zwischen Leistungsmöglichkeiten und Leistungsanforderungen. Die Kinder können mehr leisten als die Schule fordert; sie sind unterfordert. Unterforderung bedarf grundsätzlich der diagnostischen Aufmerksamkeit, auch wenn sie scheinbar zu Gunsten der Kinder besteht, denn die Leistung kann unter bestimmten Bedingungen „umkippen“. Die folgenden drei Bedingungen müssen als die wichtigsten Komplikationen in der Lernbiografie von hochbegabten Kindern angesehen werden:

1. Die Entwicklung des Selbstkonzepts (Identität) kann gestört werden

Die Motivation, sich bei einer Aufgabe anzustrengen, hängt wesentlich davon ab, ob die Aufgabe leicht, zu schwer oder aber optimal ist. Optimal ist eine Aufgabe dann, wenn sie als schwer, aber noch zu bewältigen erlebt wird. Die Arbeit im Unterricht ist nicht nur durch die jeweilige Attraktivität der Inhalte motiviert, sondern auch und besonders durch die Erfahrungen, die ein Kind mit sich selbst macht. Wenn eine Aufgabe mit optimalem Anspruchsniveau gelöst wird, dann enthält das immer auch eine Rückmeldung an das Kind: „Du bist gut, denn ich war schwer.“ Das Kind lernt, sich angesichts der verschiedenen unterrichtlichen Herausforderungen selbst einzuordnen; hier ist es besonders gut, dort durchschnittlich, dort gelingen ihm die Lösungen noch nicht so gut. Es erfährt, was es kann und wo seine Grenzen sind. Hochbegabte Kinder können diese Selbsterfahrung nicht machen, weil für sie die Aufgaben durchweg zu leicht sind. So lernen sie weder etwas über sich, noch lernen sie, wie sie sich erfolgreich mit anspruchsvollen Herausforderungen auseinandersetzen können (Lernen des Lernens). Stattdessen erwerben sie mit bloßem Zuhören, was es zu lernen gibt, der Rest des Unterrichts ist langweiliges Üben von Verstandenem.

2. Die Forderung nach Verhaltensanpassung überfordert

Wenn Unterricht als langweilig und bedeutungslos erlebt wird, dann wird die Mitarbeit – zugespitzt aus der Sicht des Kindes formuliert – zum Zwang, langweilige und herabsetzend kindische Dinge in endloser Folge zu tun und dabei weder zu stören, noch Widerstand zu leisten, noch defensiv zu träumen. Dieser Zwang zur Verhaltensanpassung führt, wenn er in vielen Fächern über längere Zeit erlebt wird, zu einer Überforderung. Es kommt zum Konflikt zwischen dem unterforderten Kind und seinen Lehrerinnen und Lehrern: zu Widerständigkeit, Nachlässigkeit, Ablehnung von (subjektiv) unplausiblen Arbeitsanweisungen; zu Missverständnissen, weil die Kommunikation nicht gelingt, zu Arbeitsverweigerung. Wissenslücken entstehen und die Tendenz beschleunigt sich.

3. Die Integration in die peer-group gelingt nicht

Hochbegabte Kinder haben andere Interessen als ihre Alterskameraden, sie denken und sprechen Anderes und anders. Anders zu sein birgt aber immer das Risiko von Ausgrenzung. Schon im Kindergartenalter ist daher manchmal ein experimenteller Gestus des Verhaltens beobachtbar. Die Kinder bilden Erwartungen darüber, welche Verhaltensweisen bei Gleichaltrigen attraktiv wirken und probieren diese aus. Aus dem Wunsch heraus, von anderen geschätzt zu werden, reagieren sie auf erste Misserfolgserfahrungen mit Anpassungsversuchen, für die Altersgleiche im sozialen Umfeld die Vorlagen liefern. Solche Versuche können gelingen, sind aber immer riskant; es könnten ja die falschen Vorlagen gewählt oder an sich günstige Vorlagen unpassend übernommen werden. Unter dem Gesichtspunkt der Identitätsentwicklung ist diese Situation als weiterer Störfaktor einzuschätzen, denn die Anpassungsversuche sind natürlich immer von Unsicherheit begleitet. Im misslingenden Fall kommt es zu Isolierung und Einsamkeit, häufig zu Mobbing. Ein typisches Beispiel für das Scheitern solcher Bemühungen um Wertschätzung ist die sogenannte Kaspar-Rolle, deren Heimtücke die Kinder nicht rechtzeitig übersehen. Wer die Lacher auf seiner Seite hat, wähnt sich zunächst akzeptiert, die Geringschätzung in der zweiten Ebene wird zu spät erkannt.

4. Anmerkung zu einem schwerwiegenden Misssverständnis des Underachievement

Die Verhaltensauffälligkeiten der Underachiever entsprechen nach unseren Beobachtungen oft so sehr den Merkmalen dem sogenannten Aufmerksamkeits-Defizit-und-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS), dass wir von einem reaktiven ADHS sprechen. Die reaktive Symptomatik ist diagnostisch nicht zu unterscheiden von dem neurobiologisch induzierten ADHS. Wenn man von der weltweit angegebenen ADHS-Quote von 3 % (nach ICD-10) ausgeht und die um das Dreifache höher liegenden klinischen (bei 9-bis 11-Jährigen etwa 10 %) Diagnosen in Deutschland dagegen hält, wenn man Berichte beachtet, dass die Verschreibung von Medikamenten nach vermeintlicher ADHS-Diagnostik in der Bundesrepublik sich zwischen 1992 und 2000 verzwanzigfacht hat, dann ergibt sich ein Anhaltspunkt dafür, dass hier Schule unmittelbar zu Fehlentwicklungen der Kinder führt, nicht aber, wie weithin angenommen, Fehlentwicklungen in der Gesellschaft die Problemlage von Schule verschärfen.

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  • Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich wohne in Hannover und finde keine Hilfestellen für meine Hochbegabung, die mein gesamtes Leben erschwert. Falls sie irgendetwas empfehlen können, wäre ich sehr dankbar.
    ich freue mich auf ihre Antwort.

    Mit freundlichen Grüßen
    Tobias Zander

  • "Ein typisches Beispiel für das Scheitern solcher Bemühungen um Wertschätzung ist die sogenannte Kaspar-Rolle, deren Heimtücke die Kinder nicht rechtzeitig übersehen. Wer die Lacher auf seiner Seite hat, wähnt sich zunächst akzeptiert, die Geringschätzung in der zweiten Ebene wird zu spät erkannt."

    Das beschriebene Beispiel trifft leider auf meinen 9jährigen Sohn zu. Zum Glück wurde ADHS ausgeschlossen, aber lt IQ-Test liegt er in Teilbereichen über 130. In der Schule ist er der Klassenclown und die Noten sind auch nur in den Bereichen gut, die er mag. Leider gehören Mathe und Deutsch nicht dazu. Jetzt droht die Nicht-Versetzung und ich habe große Angst, dass das für ihn genau der falsche Weg ist, da er den gleichaltrigen Kindern kognitiv weit überlegen ist und das bei einer Klassenwiederholung mit 1 Jahr jüngeren Kindern nicht besser würde.

    Was können wir machen?

  • Genau so geht es uns jetzt. Testung war in Teilbereich Sprache bei 142, Gesamt 128 - 131!
    Ständig Probleme in der Schule und nun droht uns der Gang an die Förderschule!
    Unsere Tochter und wir sind verzweifelt und fühlen uns alleine gelassen.
    Was kann man machen???

  • Das beschreibt exakt die Situation unseres Sohnes.
    Nach einem wegen Mobbings schwierigem letzten Grundschuljahr (mit allerdings noch guten Noten), kam er vor einem Jahr aufs Gymnasium. Er hat jetzt gerade so die Versetzung geschafft. Es gab einige Gespräche mit den Klassenlehrern und der Schulsozialarbeit. Er kann sich nicht konzentrieren, wirkt wie abwesend und uns wurde nahegelegt mit ihm zur Psychotherapie zu gehen. Die Lehrer tippten auf ADHS. Die Psychologin tat das zunächst auch, machte aber einen IQ Test um den Leistungsabfall abzuklären. Ergebnis : IQ 140.
    Im Moment stehen wir der Situation noch etwas hilflos gegenüber.

    • Unser Institut ist darauf spezialisiert. Schicken Sie uns eine Anfrage über die Startseite oder über 0170 8035937. Wir melden uns dann bei Ihnen.

  • Guten Tag, unser Sohn arbeitet in der Schule kaum mit. IQ Test ergab 133 mit hoher sprachlicher Begabung und hohem analytischem Denken. Die Lehrerin verweigert Enrichment, sie könne das bei dem Lernplan und der Klassenstruktur nicht leisten. Ein Klassensprung wird uns ausgeredet, da er ja in Mathe nicht hochbegabt sei, er könne ja noch nicht alles und mache auch noch Fehler. Außerdem lasse sein Arbeitsverhalten einen Klassensprung nicht zu. Wir haben auf eine Hospitation im Deutschunterricht der 3. Klasse gedrängt, die aus unserer Sicht gut gelaufen ist, aber auch da sei sein Arbeitsverhalten sehr schlecht gewesen (er hat dort allerdings gute Klassenarbeiten geschrieben). Die Hospitation wurde nun beendet, das Arbeitsverhalten wird nicht besser und wir machen uns große Sorgen, dass eine Negativspirale ihren Lauf nimmt. Er selbst sagt, er sei jetzt nicht mehr so schwierig, darum müsse er die 3. Klasse nicht mehr besuchen. Er bemüht sich sehr, aber es fällt ihm schwer und er zerbricht aus Frust seine Arbeitsstifte. Was können wir tun?

  • hallo, es hat jahre gedauert bis ich im alleingang endlich auf die hochbegabung meines sohnes gestoßen bin(IQ140), durch seine auffällige und hochsensible art ist er in der grundschule von seiner lehrerin gemobt wurden, sie wollte ihn in die förderschule schicken und hat uns sogar das jugendamt auf den hals gehetzt, in der 4.kl endlich schulwechsel hat er es doch noch auf das gymnasium geschafft, nun bin ich am ende meiner kraft und völlig verzweifelt, weil er nur noch schlechte noten bringt, aber zum glück nette kl.lehrerin die auch weiß das er nicht auf eine oberschule sollte.ev auf eine spezialschule.- ich könnte weinen und weiß nicht weiter, erstaunt lese ich jetzt von Underachiever, vielleicht können sie mir weiterhelfen , damit mein sohn nicht im system untergeht- davor habe ich große angst, vielen dank, lg

  • Genau vor diesem Problem stehen wir auch gerade. Unsere Tochter ist in der 3. Klasse und war - vor allem im Hort so auffällig, dass man und einen Integrationsplatz nach 35a SBG vorgeschlagen hat. Zudem bestand der Verdacht einer Rechtschreibschwäche. Der Test auf Rechtschreibschwäche führte dann zu der Erkenntnis, dass sie statt einer Schwäche eine Hochbegabung hat. Das Problem ist nun das, dass sie Notentechnisch zwischen 3 und 4 (sie kann den Stoff, verschusselt sich aber in den Klassenarbeiten) steht und damit nicht einmal eine Bildungsempfehlung für ein Gymnasium bekommt...

  • Hallo!
    Ja, das haben wir mit unserer Tochter durch. In Teilbereiche IQ 130, Gesamt 124. Inzwischen fast 18 Jahre , Gymnasien, Rückstufung auf Real, Abschluss mit 2,9 dann doch geschafft. Aber während der 5.-10. Klasse 4 verschiedene Klassen und 2 verschiedene Schulen. Jetzt droht das ganze dem Sohn (9 Jahre, Teilbereiche mit 130, Gesamt 122). Langeweile und „Ich geh nicht mehr zur Schule“. Lehrerin sagt zum Kind: Mach das, was alle anderen auch machen. Das ist das Mindeste, was ich von dir erwarte. Die anderen guten Schüler der Klassen bekamen schon die Ansage, dass sie niemals eine Klasse überspringen würden.
    Er möchte nicht mehr machen als nötig, da es sowieso kein Ausweg ist, mehr zu arbeiten. Ich weiß nicht mehr weiter

    • Guten Tag,
      wir werden Ihnen per Mail antworten.
      Mit freundlichen Grüßen
      Anne Eckerle